Wie ich Eingangs schon erwähnte, kostete mich dieser Fototrip nach Havanna fast kein Geld. Ich wollte eine Fernreise / Fotoreise / Städtetour machen, ohne dafür viel zu bezahlen. Individuelle Fotoreise zum Billigtarif – es war einfach mal einen Versuch wert (und es war ein Erfolg!). Und da ich den Flug nun schon mit Flugmeilen bezahlen konnte, sollte es beim Hotel auch etwas sehr günstiges sein. Nach Kuba reiste ich also ausnahmsweise mal nicht im Stile eines Flashpackers und gönnte mir weder Boutiquehotel noch hochwertige Privatunterkunft (wobei Privatunterkünfte auf Kuba DER TIPP sind). Ich buchte kurz vor meinem Abflug 12 Nächte im Hotel Deauville, über das bei Tripadvisor nicht allzuviel Gutes – mit Ausnahme einer phantastischen Lage und eines unschlagbaren Preises – gesagt wird.
Hotel Deauville, Havanna
Das Hotel ist kein prachtvoller Bau aus der Kolonialzeit sondern ein 14 Etagen hoher Betonklotz. Mir war es trotzdem recht, da für mich Lage Lage Lage entscheidend war: Und die war erstklassig – mitten im Bezirk Centro-Havanna (Habana Centro) mit seinen verfallenen Häusern, wo das kubanische Alltagsleben noch unverfälscht spielt. Vom Dachgeschoss des Deauville bot sich ein phantastischer Ausblick über Habana-Centro und über die ganze Hauptstadt. Das Viertel ist (noch) nicht touristisch hergerichtet wie die Altstadt (Havana Vieja) mit Capitolio, Casa de Musica, den vielen wunderbar restaurierten Gebäuden, besseren Hotels, Cafes mit lauschigen Innenhöfen, Restaurants, Bars mit Live-Musik, modernen Shops und Plätzen. Will man in Havanna Vieja flanieren und genießen, erreicht man es in einem 15 minütigen Fußweg vom Hotel Deauville aus. Will man kubanischen Alltag erleben, beginnt er direkt vor der Hoteltür.
Als weiteren Pluspunkt erachtete ich die Lage direkt am Meer und an der berühmten Uferpromenade Malecón. Ich freute mich im Vorfeld auf das Meeresrauschen, das mich nachts in den Schlaf wiegen würde. In der Realität sah DAS leider etwas anders aus: Obwohl mein Zimmer in der oberen, besten und empfohlenen Etage war, ließ ich das Fenster geschlossen, da der Motorenlärm der Oldtimer, die den Malecón entlangröhrten, lauter war als die Wellen des Meeres. Der Blick aus dem Fenster entschädigte das – dieser Blick war einfach genial. Ich schlief bei geschlossenem Fenster. Geschlafen habe ich hervorragend.
Mein Zimmer war riesig und im 60er Jahre DDR Charme. Die Möbel waren ziemlich hässlich und äußerst betagt, aber das störte mich nicht im geringsten. Alles funktionierte, ich hatte ein eigenes Bad und ein bequemes Bett – ja sogar 3 bequeme Betten. Ich zog ein Bett über den Fliesenboden in die Mitte des Zimmers und direkt unter die Deckenlampe, da meine Nachttischlampe nicht funktionierte (so konnte ich im Bett lesen). An dieser Stelle – mitten im Raum – lies ich mein Bett 12 Tage lang stehen, da nie jemand kam, um meine Nachttischlampe zu reparieren oder auszuwechseln. Machte nichts. Ich war in Kuba und erlebte hier kubanische Mentalität. Oder auch den sozialistischen Servicegedanken: Alles wird zwar „irgendwann“ gemacht, aber nur kein Bein ausreißen. Dafür gibt es keinen Extrabonus. Weder Wettbewerb noch Existenzangst um den Job bewegen das Servicepersonal zu mehr als dem Notwendigen. Oder zu dem, was sie als notwendig ansehen. Aber wahrscheinlich fehlte es gar nicht am Willen des Personals, sondern es waren ganz einfach keine Glühlampen aufzutreiben. Normaler Alltag in Kuba. Ich bekam jeden Tag frische und große neue Handtücher und mein Zimmer war immer blitzsauber (für mein regelmäßiges Trinkgeld oder bekam das jeder?).
Für die meisten Kubaner, die ich kennenlernte, war mein Hotel Luxus. Für mich war es zumindest wirklich ok, zwar nichts für den Wohngourmet aber dafür mit unschlagbarem Preis: Ich bezahlte rund 20 € pro Nacht inklusive Frühstück.
kubanische Mentalität, sozialistischer Servicegedanke, Mangel oder unverschämte Gäste?
Wohl von jedem etwas, meine ich…..
Der große Frühstückssaal im Deauville hatte eine riesige vollkommen verdreckte Glasfront zur Straße. Waren sogar Wasser und Lappen zum Fensterputzen Mangelware in Kuba? Oder sah das Hotelmanagement einfach nicht, dass die Scheiben völligst verdreckt waren? Oder konnten die Kosten für das Fensterputzen einfach nicht mit einem Zimmerpreis von 20,- € gedeckt werden? Sah niemand von der Hotelleitung, dass die Fenster seit Jahren nicht geputzt wurden? Oder waren saubere Glasfronten im Frühstücksraum und Foyer einfach nicht wichtig? Gehörte das zur kubanischen Mentalität oder zum sozialistischen Servicegedanken?
Zum Frühstück gab es frische Brötchen, Butter, gutes Obst und verschiedene Säfte. Damit war ich vollkommen glücklich und mehr brauchte ich nicht. Für die Kaffeetrinker: Ein Kaffeeautomat war auch da. Käse benötige ich nicht und Wurst esse ich nicht – insofern kann ich mich nicht den vielen schlechten Beurteilungen auf Tripadvisor anschließen. Ich war übrigens einer der wenigen Reisenden, die alleine frühstückten. Das bot mir jeden Morgen die Gelegenheit die vielen Hotelgäste und wenigen Kellnerinnen und Kellner zu beobachten.
Eine sehr aufschlussreiche Studie: Ich sah nicht wenige unverschämte Hotelgäste mit unangemessenem Verhalten. Ich kam bei meinen morgendlichen Beobachtungen im Frühstücksraum zu der Vermutung, dass das Hotel im Angebot vieler Reiseunternehmen sein muss (z.B. Neckermann-Reisen wie ich nachträglich erfuhr), denn die Gäste strömten oft schubweise und in großen Gruppen zum Frühstück, stürzten sich auf das Buffet und befüllten ihre Teller nicht immer mit dem Charme des Understatement. Ãœberfüllen der Teller, kann man es auch nennen. Im Nu waren dann die frischen Brötchen oder das Obst alle und es dauerte 15 Minuten bis Nachschub kam. Sicher kein gutes Management von kubanischer Seite. Mangel erzeugt Raffsucht. Selbst kurzweiliger Mangel animierte viele Gäste dazu, gleich mehr auf den Teller zu packen. Man weiß ja nie, ob neue Brötchen gebacken oder frisches Obst aufgeschnitten wird…..Ein Kreislauf, den ich aus meiner Kindheit in der DDR noch gut in Erinnerung habe.
Ich liebe Milieustudien und fühlte mich total glücklich in meiner Beobachtungsstellung alleine an meinem Ecktisch am verschmierten Fenster mit meinem leckeren Saft in der Hand. Fotografieren traute ich mich allerdings nicht….
Meine Kamera nahm ich jeden Morgen mit in den Frühstücksraum, da ich mir nach dem Frühstück das Anstellen nach dem oft nicht funktionierenden oder überlasteten Fahrstuhl ersparen wollte, aber auch keine Zeit mit Treppensteigen verschwenden wollte. Denn als ungeduldige Fotografin zog es mich nach Frühstück und Milieustudie im Frühstückssaal immer ganz schnell raus in den kubanischen Alltag.
Ich beobachtete nicht nur die Gäste sondern auch das Verhalten, die Gesichtsausdrücke und Gesten der wenigen Kellnerinnen und Kellner. Nach einigen morgendlichen Milieustudien fiel mir ein sehr junger dunkelhäutiger Kellner auf. Obwohl ich ahnte, dass es dem Hotelpersonal verboten war mit Gästen privaten Kontakt aufzunehmen, merkte ich, dass auch er mich beobachtete. Waren die Brötchen wieder einmal alle (weil sich viele unverschämte Gäste gleich nach der neuen Lieferung 4 oder 5 davon auf ihren Teller türmten), brachte er mir eines vorbei und auch das eine oder andere frische Obststück landete auf meinem Teller. Immer so, dass es niemand außer mir mitbekam. Nach ein paar Tagen stellte er sie dann: Die Frage, auf die gewartet hatte, da ich sah, dass er ständig meine auf dem Tisch liegende Kamera im Blick hatte. Ob ich Fotografin sei und was ich denn jeden Tag fotografieren würde. Er flüsterte mir zu, dass er auch Fotograf sein, dass wir uns nach seiner Schicht treffen könnten und steckte mir einen kleine Zettel mit einer Adresse zu.
Logisch, dass die Fotografin in mir dieses Treffen kaum erwarten konnte und ich noch am selben Nachmittag diesen Treffpunkt in einer Gegend von Centro Habana, in die ich bei meinen Streifzügen wahrscheinlich nicht zufällig gekommen wäre, aufsuchte. Die Gegend lag ziemlich abgelegen und „irgendwo“ in Chinatown. Markenzeichen und einziger Hinweis an Chinatown ist allerdings das Eingangstor im chinesischen Stil. Ansonsten erinnert nichts mehr daran, dass in diesem Viertel mal Chinesen lebten.
Schon auf dem Wege dorthin gelangen mir Fotos wie dieses, was heute im XXL-Format in meiner Wohnung hängt.
„Der Kellner“ wohnte mit einem Freund, der ebenfalls Fotograf war, in einer Altauwohnung mit tollem Flair. Beider Idol und fotografisches Vorbild war der berühmte französische Fotograf Henry Cartier-Bresson. Des Kellners Traum war ein Bildband von diesem Fotokünstler. Und: er würde niemals digital fotografieren!
Der Verdienst eines Kubaners reicht meist nicht aus, um auf legale Weise eine Familie ernähren zu können. Deshalb waren alle Jobs, bei denen man an Devisen oder Mangelware rankam, unheimlich begehrt. Und so arbeiten Ärzte als Taxifahrer, Lehrer an der Rezeption des Hotels und so war auch „mein“ Kellner, der eigentlich ein begnadeter Künstler und Fotograf war, mit seinem Job im Frühstücksrestaurant des Mittelklassehotels hochzufrieden.
Ich würde sehr gern wissen wollen, was aus ihm geworden ist….Leider habe ich die Adresse verloren. Ob er noch Kellner im Deauville ist? Er hat sich sicher oft über verwöhnte Gäste ärgern müssen. Zum anderen wußte er es aber auch zu schätzen in einem internationalen Umfeld arbeiten zu können. Aber seine Liebe gehört der Street Fotografie, der schwarz-weiß Fotografie und dem Einfangen des „entscheidenden Augenblicks“.
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